*** Dies ist der zweite Teil meines Erfahrungsberichts Schweiz-Palermo per Fahrrad. Den ersten Teil bis nach Rom findest du hier. ***
Karte und GPS-Daten
Hier gehts direkt zur Route* in Komoot. Ich habe sie am Computer nachgezeichnet und auch etwas optimiert. Das heisst, dass ich Stellen verändert habe, die gefährlich oder allzu hässlich waren. Es ist also nicht ganz meine Originalroute.
Die GPS-Daten kannst du dir auf Komoot herunterladen, wenn du den entsprechenden Ausschnitt gekauft hast oder Premium-Mitglied bist. Falls du die Daten nicht herunterladen kannst, kontaktiere mich bitte.
Ich bin bereits übers Südtirol, durch die Po-Ebene und der toskanischen Küste entlang gefahren. Mit dem Zug umfahre ich Rom und steige in Neapel wieder aufs Fahrrad.
Durchgeschüttelt in Neapel
Neapel gefällt mir vom ersten Augenblick an. Lebendig, chaotisch, bunt und freundlich. Zumindest das wenige, das ich auf meinem Weg vom Bahnhof hinaus aus der Stadt mitbekomme.
Im Grunde befinde ich mich in einem permanenten Zustand des durchgeschüttelten Hirns. Der Belag der Strassen von Neapels Innenstadt besteht aus grossen Steinquadern. Zwischen den Quadern klaffen ganze Täler, in denen sich das Vorderrad gerne verhakt. Oder Schlaglöcher, die dir Sehen und Denken austreiben. Sowas habe ich noch gar nie erlebt. Ich donnere von Loch zu Loch.
So lerne ich selbst ganz holprige Asphaltstrassen wieder schätzen.
Die Übernachtung in Pompei ist unvergesslich. Des hässlichsten Campingplatzes aller Zeiten wegen. Er ist dreckig und lärmig von der nahen Hauptstrasse, voller streunender Hunde, das Personal ist unfreundlich, kurz: völlig lieblos. Am nächsten Morgen bin ich schnell weg.
Die Strasse von Pompei bis Sorrent ist eine einzige Verkehrskolonne. Die Roller beeindrucken mit wagemutigen Manövern. Ich pedale lustlos vor mich her. Später erfahre ich, dass es eine tolle Promenade am Meer geben soll, auf der man bestens Rad fahren kann…
Von Sorrent aus überblickst du den Vesuv und den Golf von Neapel:
Ab Sorrent wird es schlagartig ruhiger. Ich nehme die äusserste Landstrasse, die mich wegen ihres heftigen Auf und Ab gut fordert. Umwerfende Landschaft, prächtige Blicke aufs Meer.
In Termini, am westlichsten Rand der Landzunge, gibts ein Picknick mit Aussicht auf Zitronenbäume, Meer und im Hintergrund die Insel Capri:
In der Bar in Termini – wohl die einzige in diesem kleinen Nest – komme ich ins Gespräch mit dem Barista. Knapp 20-jährig, der Sohn der Bar-Besitzerin. Er wirkt nicht sonderlich begeistert von seinem Job.
“Du hast einen wunderschönen Arbeitsplatz”, sage ich.
“Tja, das sagen alle. Ich bin hier aufgewachsen, für mich ists normal.” Der Junge zuckt mit den Schultern.
“Möchtest du lieber woanders hingehen?”
“Ich weiss nicht. Nach der Schule hatte ich keine Lust zum Studieren. Darum habe ich hier in der Bar angefangen. Und jetzt, ich weiss nicht… Die Krise, weisst du, es ist nicht einfach, einen Job zu finden”, sagt der Barista.
Und ich wundere mich einmal mehr, wie sich selbst so junge Menschen Ausreden ausdenken, damit sie nicht einen mutigen Schritt tun müssen. Natürlich, in Italien ist es tatsächlich nicht ganz einfach, einen guten Job zu finden. Aber wenn man nicht mal den Versuch startet, gibts bestimmt keinen.
Hoffentlich kriegt er eines Tages einen Mutanfall. Sonst sitzt er sein Leben hier einfach ab und wartet, bis die Ödnis vorbei ist.
Amalfiküste
Und dann bin ich nur noch sprachlos. Die Amalfiküste ist ein Traum. Ich habe Schlimmes bezüglich Verkehr erwartet, aber die Strasse ist viel ruhiger als ich befürchtet habe. Ende September ist nicht mehr so viel los, obwohl es jetzt besonders schön und noch richtig warm ist.
Ich mache gerade irgendwo Fotohalt, als es im Steilhang oberhalb raschelt. Ich höre Menschenstimmen. Und da kommt doch tatsächlich ein schwer bepacktes Maultier auf einem kaum wahrnehmbaren Pfad hinunter gewankt. Die Kisten, das es trägt, sind voller frisch gepflückter Zitronen. Zeit der Zitronenernte.
Wie es die schönsten Strecken so an sich haben, ist auch die Amalfiküste viel zu kurz. Hier könnte ich tagelang pedalen.
Nach Salerno wechselt die Stimmung schlagartig. Ebene. Überall lungern Leute herum, denen es offensichtlich nicht gut geht. Sie sehen mich feindselig an oder starren trübe vor sich her. Mehrmals werde ich plump angemacht, einer verfolgt mich mit seinem Auto. Es ist richtig ungemütlich.
Sobald die Ebene durchquert ist, bin ich zurück im freundlichen Italien. Und da wirds auch landschaftlich wieder hübsch. Ich befinde mich jetzt an der Cilentoküste.
An diesem Abend lerne ich Ilie kennen. Er ist aus Napoli und fährt mit seinem Fahrrad nach Palermo, um einen Freund zu besuchen. 1 Woche hat er Zeit dafür! Ilie spricht ein so lustiges Italienisch (ich meine zuerst, DAS wäre jetzt Neapolitanisch, aber er behauptet, er rede Italienisch), dass ich bestenfalls einen Drittel von dem verstehe, was er sagt. Aber so viel er redet, reicht mir das auch.
Am nächsten Morgen frühstücken wir ausgiebig miteinander. Ich fahre vor Ilie los, da er ohnehin viel schneller ist als ich. Wir haben beide den gleichen Weg, also wird er mich bald einholen.
Bloss: ich verfahre mich total, finde mich irgendwann auf einem Pass wieder, auf den ich nicht wollte. Schön ists, grandiose Landschaft. Einfach nicht da, wo ich hinwollte.
Fast 100 Kilometer fahre ich heute, inklusive diesem unverhofften Pass, bis ich einen Campingplatz in Praia a Mare finde. Ilie habe ich durch meine Irrfahrt verloren. Der ist längstens über alle Berge.
Wie staune ich da, als er plötzlich auf dem Campingplatz einfährt! Kaum zu fassen, aber auch er hat sich verfahren. Diesen sagenhaften Zufall feiern wir ausgiebig bei einem grandiosen, ausgiebigen, lauten, lustigen Abendessen im Campingrestaurant. Ilie ist ein Spektakel.
Am nächsten Morgen fragt uns die Dame an der Frühstücks-Bar, ob Ilie und ich unsere Hochzeitsreise mit dem Fahrrad machen. Haha, das amüsiert uns sehr. Wir kennen uns gerade mal ein paar Stunden, benehmen uns aber schon so vertrauensvoll, dass wir glatt als Paar durchgehen.
Aber es ist Zeit für den Abschied. Ilie ist in Eile, ich mags gemütlicher.
Kalabrien
Bald fahre ich in der Region Kalabrien ein. Was mir bald auffällt: die Strassen sind schlecht, und vor allem sind sie sagenhaft steil und extrem stark befahren. Dazu wird das Wetter düster und windig. Mein Knie schmerzt immer aufdringlicher. Ich spuhle die Kilometer ab, um rasch aus dieser tristen Gegend wegzukommen.
In Zambrone nahe Tropea finde ich schliesslich einen Camping, auf dem ich 3 Tage bleibe. Es ist auch höchste Zeit für eine Pause. Ich bin bis hierher praktisch jeden Tag weitergefahren. Das macht mit der Zeit müde. Und vor allem lässt es kaum Raum, um Orte und Menschen etwas näher kennenzulernen.
Der Camping Calabria Verde liegt direkt am Meer. Nachts kann ich das Rauschen hören, tagsüber am langen Strand entlang laufen.
Das Camping-Personal gibt mir ein richtig schönes Familien-Gefühl. Es ist offensichtlich, dass sie mich sehr merkwürdig finden: Frau alleine mit Fahrrad. Trotzdem, oder gerade deswegen sorgen sie sich rührend um mich.
Lange rede ich mit Santina und Sara, die mit ihren Männern den Platz führen. Sie kennen nichts anderes als die traditionelle Rollenteilung, in die sie hier in Süditalien geboren wurden. Familie und Arbeit – viel mehr gibt es in ihrem Leben nicht. Entsprechend sind sie neugierig über meine Lebensweise. Alleine reisen – undenkbar für sie!
Als ich schliesslich weiterfahre, macht das Fahrrad Kapriolen. Oder sagen wir: es gelingt mir nicht mehr zu überhören, dass ich die Bremsbeläge ersetzen sollte. Leider habe ich keinen Ersatz mitgenommen, und kein Mechaniker hat passende Bremsbeläge an Lager. So quietsche ich durch die Gegend und hoffe, dass ich nirgends eine Notbremsung hinlegen muss.
Und dann folgt dieser fürchterliche Camping, auf dem mich der “Sicherheitsverantwortliche” belästigt. Im Angst-Artikel kannst du die Geschichte nachlesen.
Nach diesem ungemütlichen Erlebnis gönne ich mir in Scilla das erste Mal ein Zimmer in einem Bed & Breakfast. Ob du dir vorstellen kannst, wie selig ich in diesem Zimmer bin?
- Eigenes Bad mit so viel Warmwasser wie ich brauche
- Steckdosen, um meine Geräte vollständig aufzuladen
- Kein Zeltaufstellen
- Keine Insekten, die mich belästigen – und auch keine Sicherheitsverantwortliche
- Unterkunft mitten im Zentrum – ich kann einfach losgehen
In dieser Gasse wohne ich:
Auch sonst ist Scilla ein hübscher, freundlicher Ort.
Sizilien
Von Scilla ist es nicht mehr weit bis Villa San Giovanni, von wo die Fähre nach Sizilien übersetzt. Für 3 Euro kriege ich eine Fährfahrt nach Messina.
Messina überrascht mich dann sehr. So eine schöne, lebendige Stadt! Dass hier Kreuzfahrtschiffe anlegen, hätte ich nicht erwartet. Messina ist voll von Touristen.
Und in Messina finde ich endlich einen Mechaniker, der mir meine Bremsbeläge auswechseln kann.
Obwohl ich nach Palermo will, fahre ich erst einmal südwärts. Taormina ist so ein Name – den Ort will ich mir nicht entgehen lassen. Überraschend finde ich vor Taormina, in Sant Alessio Siculo einen schönen Campingplatz direkt am Meer.
Glückstag.
Taormina gefällt mir tatsächlich. Tolle Lage, schmucker Ort. Und sagenhaft überlaufen von Touristen. Als ein Kreuzfahrtschiff in den Ort einfällt, verziehe ich mich schleunigst.
Siziliens Nordküste ist richtig schön zum Fahren. Ich habs gemütlich, geniesse die Wärme und das Meer.
In San Giorgio bekomme ich auf einem Campingplatz einen Bungalow für den Saisonend-Preis von 20 Euro angeboten. Ich liebe mein eigenes Häuschen innigst. Eine eigene Küche, wie toll ist das denn! Mit dem Camping-Inhaber, Andrea, verstehe ich mich auf der Stelle. Er gibt mir auch viele Tipps für meine Weiterfahrt.
Zur Feier des Tages kaufe ich viel zu viel Essen und eine Flasche Wein ein und geniesse das Abendessen vor meinem Haus. Etwas später gesellt sich ein älterer Tscheche zu mir und hilft mir, die Flasche zu leeren.
Ich passiere die hübschen Küstenorte Gioiosa Marea, Capo d’Orlando und Cefalù und treffe schliesslich in Palermo ein.
Die letzten 3 Tage meiner Reise verbringe ich auf dem Campingplatz von Cefalù, wo ich am Strand eine ganz spezielle Begegnung mache. Unvergesslich sind die Runde mit dem Motorino in den Hügeln der Madonie, der Besuch von Erice, das Bier am Strand…
Was für ein würdiger Abschluss dieser grossen Reise Schweiz – Palermo per Fahrrad!
Und dann wirds Zeit, Abschied zu nehmen.
Die Fähre bringt mich von Palermo zurück nach Genua.
Super und sehr ermutigend! Ich plane jetzt auch meine Reise nach Sizilien und werde Deine Ratschläge einbauen!
Grossartig, Bettina – und wenn du Fragen hast, dann immer her damit. Eine wundervolle Tour wünsche ich dir!