Wenn du auf der Ciclovia Adriatica fährst, ist Pescara das reine Paradies. Du durchquerst die ganze Stadt entspannt auf einem Radweg direkt am Meer, am Lungomare. Es gibt keinen Grund, ins Innere der Stadt einzuschwenken, am Radweg gibts alles, was du brauchst.
Verlässt du hingegen den Radweg und begibst dich in die Stadt hinein, fällt erst mal wenig Positives auf: viel Beton, hässliche Bauten, wenig Grün. Mein Glück, dass ich rasch Menschen kennenlerne, die mich an den Charme von Pescara heranführen.
Ponte del mare: die Fahrrad- und Fussgängerbrücke
Eben, der Radweg am Meer ist toll, den solltest du dir nicht entgehen lassen. Zu jedem Pescara-Besuch gehört auf jeden Fall eine Fahrt oder einen Spaziergang über die grandiose Fussgänger- und Fahrradbrücke. Nur schon der Aussicht wegen.
Tour dei ponti – die Brückentour
Mein Glück, dass Pescarabici – der lokale Sektor der italienischen Vereinigung der Fahrradfreunde FIAB – an einem Sonntag eine öffentliche Brückentour organisiert.
Ich bin dabei und staune über die vielen (witzigen) Fahrradfreunde, die sich auf der Piazza Salotto zusammenfinden.
Sehr passend zum bewegten Anlass, der Slogan im Hintergrund: “Pescara, una città che muove i sogni” – Pescara, eine Stadt, die die Träume bewegt.
Der Anlass ist perfekt organisiert von den FIAB-Mitgliedern.
Dann kanns losgehen. Die Route wird von der Polizei grösstenteils von den Autos freigehalten. Nur schon das dürfte für die Verantwortlichen von Pescarabici ein organisatorischer Kraftakt sondergleichen gewesen sein.
Und so überquert der lange Fahrrad-Pulk innerhalb von knapp 2 Stunden insgesamt 7 Mal eine Brücke in der Stadt.
Damit du dir vorstellen kannst, wieviele Leute an diesem Giro teilgenommen haben, hier ein kleiner Film. Und das sind noch längst nicht alle Fahrräder…
Nicht nur ich staune über die zahlreichen Fahrradstrecken in Pescara. Auch Francesca, die von Bologna zugezogen ist sagt:
“Ich bin wegen dem Job nach Pescara gekommen. Zuerst war ich geschockt und habe mich gefragt, wie ich in dieser grauen Stadt leben soll. Bologna ist so sehr auf Fahrräder und das Grün ausgerichtet. Ich war immer mit dem Fahrrad unterwegs. Hier habe ich Angst, in der Stadt herumzufahren. Zum Glück entdecke ich jetzt ein paar neue Wege, die ich fahren kann.”
Der Standard der Wege ist weit unter dem, was wir uns in der deutschsprachigen Region gewohnt sind. Es ist offensichtlich, dass die Stadt andere Prioritäten setzt als sich um die Radwege zu kümmern. Gepflegt wäre anders. Aber immerhin gibt es einige nette Abschnitte.
Als ich nach der Ausfahrt dem Präsidenten von Pescarabici, Filippo Catania, für die grandiosen Brückentour danke und mich erkundige, wie es ihm im Umgang mit der Stadtpolitik ergehe, nickt er bedeutungsvoll:
“Ja, unsere Arbeit braucht Geduld und Ausdauer.”
Vielen Dank, Pescarabici, für das vergnügliche Erlebnis und eure unermüdliche Arbeit!
Strada Parco
Die Strada Parco ist eine autofreie Strasse, die über 7 Kilometer vom Bahnhof Pescara bis nach Montesilvano führt. Ihre Geschichte ist ein Spektakel, leider von wenig Freude begleitet. Hier die Kurzform der 20-jährigen Irrfahrt:
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Da, wo jetzt die Strada Parco verläuft, fuhr bis 1988 der Zug von Pescara Richtung Norden. Die Zuglinie, unterbrochen von 19 Bahnübergängen, zerschnitt die Stadt in 2 Teile.
Seit 1988 verläuft die Eisenbahnlinie weiter im Landesinnern, so wurde die Linie der Strada Parco stillgelegt. Ganz zur Freude der Anwohner, die nun viel mehr Ruhe und eine fussgängerfreundliche Zone vor ihrer Haustür gewannen.
Mit zunehmendem Verkehr und entsprechend hohen Schadstoffwerten in der Stadt, kam Mitte der 1990er-Jahre die Idee auf, auf der Strada Parco eine Nahverkehrsverbindung zu schaffen. Im Jahr 2002 sprach die EU tatsächlich 31 Millionen Euro für ein nachhaltiges öffentliches Verkehrsmittel gut. Vorgesehen war eine Art Trolleybus einer niederländischen Firma.
Um die endlose Geschichte kurz zu machen: Viele Pescaresi wehrten sich gegen das Projekt, es gab Einsprachen und Demos – und trotzdem setzte die Stadt den Bau der Linie durch. Auf der ganzen Strecke wurden Pfähle und elektrische Leitungen errichtet.
In dieser Bauphase kamen immer mehr Verirrungen in der Politik ans Licht: mangelnde Infrastruktur für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, fehlende Abklärungen über den nachhaltigen Nutzen des Projekts, und schliesslich die Einsicht, dass der Trolleybus nur als Hybridmodell und nicht als rein elektrisches Gefährt lieferbar war.
2014 gibt die Lieferfirma bekannt, dass der Trolleybus nicht mehr produziert wird.
2015 gilt das Projekt als gescheitert. 19 Millionen Euro wurden für die Infrastruktur des Trolleybus investiert, der nie fahren wird.
Für den Rückbau reichen die übrigen 12 Millionen Euro offenbar nicht – oder sie sind bereits anderswo versickert. Ganz abgeschlossen ist die Geschichte nicht, immer wieder einmal wird Klärung über die unvollendete “Lösung” gefordert.
Im Moment gehört die Strada Parco wieder den Fussgängern, Rollstuhl- und Radfahrern – und ihre Geschichte zu den italienischen Anekdoten, bei denen man nicht weiss, ob man lachen oder weinen soll.
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Ich entdecke die Strada Parco zufällig an dem Tag, als ich meinen Ausflug nach Silvi Paese und Atri mache:
Pineta Dannunziana
Ist dir die Stadt zu grau und der Strand zu voll, ziehst du dich in den Park zurück. Die Pineta Dannunziana, der Pinienwald befindet sich im südlichen Teil der Stadt, auf der obigen Karte ganz unten rechts. Benannt ist der Park nach dem Schriftsteller Grabriele D’Annunzio, der 1863 in Pescara geboren worden war und einen Grossteil seines Leben hier verbrachte.
Der Park ist riesig, wird allerdings durchschnitten von mehreren verkehrsreichen Strassen.
Als ich an einem Sonntag eine kleine Fahrradrunde im Park mache, treffe ich gleich beim Eingang auf ein Grüppchen von Bekannten, die ich wenige Tage zuvor bei meinem Workaway-Aufenthalt kennengelernt hatte.
Und sonst so in Pescara?
Die Fussgängerzone um den Corso Umberto 1, bietet alles, was sich ein Shoppingherz wünscht. Kleinere Läden und originelle Bars findest du eher in den Querstrassen dazu.
Das Geburtshaus von Gabriele D’Annunzio:
Hast du genug vom Stadtrummel, nimmst du dein Picknick und machst es dir am Meer gemütlich:
Und nachts? Nicht ganz so gemütlich, aber auch reizvoll.
Du siehst, Pescara hat durchaus auch etwas für Radfreunde zu bieten.
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